Vergaberecht - öffentliches Auftragswesen
(Stand März 2020)
Das öffentliche Auftragswesen hat in Österreich
wie auch in der gesamten Europäischen Union eine außerordentliche
wirtschaftliche Bedeutung: 2015 betrug das Beschaffungsvolumen in Österreich
rund 61,7 Mrd. Euro bzw 17,9 % des BIP. Bis in die 1990er Jahre war die Vergabe
öffentlicher Aufträge in Österreich rudimentär reglementiert. Die öffentlichen
Stellen waren zwar grundsätzlich bei der Vergabe zur Objektivität verpflichtet;
Unter-nehmen, die sich um öffentliche Aufträge bewarben, hatten jedoch kaum
rechtliche Möglichkeiten, sich effektiv gegen die willkürliche Vergabe
öffentlicher Aufträge zu wehren. Durch den Beitritt Österreichs zur Europäischen
Gemeinschaft änderte sich dies. Aufgrund der EG-Vergaberichtlinien war und ist
Österreich verpflichtet, verbindliche Vorschriften zur Vergabe öffentlicher
Aufträge zu normieren und Bietern effektive Rechtschutzinstrumente in die Hand
zu geben.
Vergaberecht in Österreich
Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass ua
derzeit in Österreich mit dem Bundesvergabegesetz 2018 (BGBl I 65/2018 idF BGBl
l I 100/2018 – in der Folge „BVergG“) ein 382 (!) Paragraphen umfassendes Gesetz
samt 20 Anhängen gilt, das detaillierte Verfahrensvorschriften für die Vergabe
öffentlicher Aufträge vorsieht. Im Vordergrund stehen dabei
-
Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten (insbesondere freier
Waren- und Dienstleistungsverkehr)
-
Diskriminierungsverbot
-
Grundsatz des freien und lauteren Wettbewerbes
-
Gleichbehandlung aller Bewerber und Bieter sowie
Verpflichtung zur Vergabe an befugte, leistungsfähige und zuverlässige
Unternehmer zu angemessenen Preisen.
Das BVergG wurde in den
Jahren 2007, 2010, 2012 und 2013 umfassend novelliert und mit dem BVergG 2018
nun eine Totalrevision vorgenommen. Weiters ist seit dem Jahr 2012 für
Beschaffungen im Sicherheitsbereich das Bundesvergabegesetz Verteidigung und
Sicherheit 2012 (BGBl I 10/2012 idF BGBl II 65/2018 – in der Folge „BVergGVS“)
und im Bereich der Konzessionsvergabe das Bundesvergabegesetz Konzession 2018
(BGBl I 65/2018 idF BGBl I 100/2018) anzuwenden. Weiters werden einzelne
gesetzliche Bestimmungen häufig mittels Verordnungen des Bundes bzw der Länder
abgeändert (Schwellenwerte bzw Pauschalgebühren).
Pauschalgebühren).
Bundesvergabegesetz (BVergG) - Aufbau
1. Teil |
Regelungsgegenstand und Begriffsbestimmungen |
2. Teil |
Vergabeverfahren für öffentliche
Auftraggeber (Bund, Länder, Gemeinden und ausgegliederte Rechtsträger) |
3. Teil |
Vergabeverfahren für Sektorenauftraggeber
(öffentliche und private Unternehmen, die in den Bereichen Gas, Wärme,
Elektrizität, Wasser, Verkehrsleistungen, Postdienste, Förderung fossiler
Rohstoffe sowie der Betrieb von Häfen und Flughäfen) |
4. Teil |
Rechtsschutz für Vergabeverfahren von
öffentlichen Auftraggebern im Bundesbereich (Verfahren vor dem
Bundesverwaltungsgericht) |
5. Teil |
Außerstaatliche Kontrolle und zivilrechtliche
Bestimmungen |
6. Teil |
Strafbestimmungen, Schlussbestimmungen und Übergangsbestimmungen |
Die letzte wesentliche Änderung zum BVergG ist am
1.3.2019 mit folgenden wesentlichen Neuerungen in Kraft getreten:
-
Einführung
neuer Vergabeverfahren (zB (Innovationspartnerschaft)
-
Grenzüberschreitende Auftragsvergaben
-
Berücksichtigung ökologischer, sozialer und innovativer Aspekte
sowie
-
Im
Oberschwellenbereich die Pflicht zur elektronischen Abwicklung und
-
die Stärkung des Bestbieterprinzips.
Vergaberecht -
Quellen
Da es sich beim Vergaberecht um eine
wichtige europarechtliche Materie handelt, spielen vor bzw neben den
österreichischen Normen auch die geltenden EU-Vergaberichtlinien
(vormals: RL 2004/17/EG, RL 2004/18/EG und RL 2009/81/EG) sowie die
Rechtsmittelrichtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG idF RL 2007/66/EG) und die
Rechtsprechung des EuGH zu vergaberechtlichen Fragen eine wesentliche Rolle.
Die aktuellen EU-Vergaberichtlinien 2014 (RL 2014/24/EU und RL 2014/25/EU) bzw
die Konzessionsrichtlinie (RL 2014/23/EU) wurden am 28.3.2014 im EU-Amtsblatt
kundgemacht. Diese Richtlinien sind grundsätzlich binnen 24 Monaten in
innerstaatliches Recht umzusetzen. Auf Grund dieser EU-Vergaberichtlinien
erfolgte die Totalrevision mit dem BVergG 2018:
Neben den speziellen gesetzlichen Vergaberechtsquellen, sind allenfalls auch
Selbstbindungsbestimmungen der Auftraggeber zu beachten (zB Aktionsplan für
nachhaltige Beschaffung).
Bedeutung und Komplexität der vergaberechtlichen Bestimmungen machen die
Inanspruchnahme vergaberechtlicher Beratung sowohl für öffentliche Auftraggeber
als auch für Bieter und Bewerber sinnvoll. Je früher bei einem sich anbahnenden
vergaberechtlichen Problem oder sich abzeichnender Differenzen auf das Know-how
eines Vergabejuristen zurückgegriffen wird, desto effizienter und erfolgreicher
kann dieser helfen.
Der Rechtsschutz für Vergabeverfahren von
öffentlichen Auftraggebern im Bereich der Länder ist in gesonderten
Vergabenachprüfungsgesetzen der Länder geregelt, die – mit geringfügigen
Abweichungen – inhaltlich dem 4. Teil des BVergG bzw dem 3. Teil des BVergGVS
entsprechen.
Neue Schwellenwerte im Vergaberecht
Seit 1.1.2020 gelten laut der
(unmittelbar anwendbaren) Verordnungen VO (EU) 2019/1827, VO (EU) 2019/1828, VO
(EU) 2019/1829, VO (EU) 2019/1830 folgende neue EU-Schwellenwerte (umgesetzt mit
BGBl II 358/2019):
Schwellen-Werte Vergaberecht
Klassischer Bereich: |
Liefer- und Dienstleistungsaufträge zentraler Beschaffungsstellen gem Anhang
III:
|
EUR 144.000 |
Liefer- und Dienstleistungsaufträge sonstiger öffentlicher Auftraggeber:
|
EUR 221.000 |
Direktvergabe mit BM für Liefer- und Dienst-leistungsaufträge:
|
EUR
130.000 |
Verhandlungsverfahren mit 1 Bieter, geistige DL, wenn Wettbewerb wg
Beschaffungskosten unvertretbar:
|
EUR
110.500 |
Bauaufträge und Baukonzessionen:
|
EUR 5.350.000 |
Direktvergabe mit BM für Bauaufträge:
|
EUR 500.000 |
Sektorenbereich: |
Liefer- und Dienstleistungsaufträge:
|
EUR 428.000 |
Direktvergabe mit BM für Liefer- und Dienstleistungsaufträge: |
EUR
200.000 |
Bauaufträge: |
EUR 5.350.000 |
Direktvergabe mit BM für Bauaufträge |
EUR
500.000 |
Zu beachten ist im Unterschwellenbereich auch die Schwellenwerte Verordnung
2018 (BGBl II 211/2018), mit der zB die Schwelle für die Direktvergabe mit
kleiner EUR 100.000,00 bis zum 31.12.2020 festgelegt. Sowie die Schwellenwerte
für besondere Dienstleistungen gem Anhang XVI.. |
Rechtsanwalt Vergaberecht
Rechtsschutz im Vergaberecht
Das BVergG und die 9 Landesvergabekontrollgesetze
sehen effektive Rechtschutzmöglichkeiten vor, mit denen Bewerber bzw Bieter ihr
Recht auf ein faires und transparentes Vergabeverfahrens auch durchsetzen
können. Das wichtigste Instrument ist dabei der Nachprüfungsantrag, mit dem
Entscheidungen des Auftraggebers überprüft und deren Nichtigerklärung erwirkt
werden kann. In einigen Bundesländern ist ein (gem Rsp des EuGH nicht
obligatorisches) Schlichtungsverfahren „vorgeschaltet“ zB Niederösterreich. Zu
beachten sind weitere Gesetzesquellen wie zB das
Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 (BGBl I 33/2013).
Wird das Vergabeverfahren von einem öffentlichen
Auftraggeber durchgeführt, der dem Bund zuzuordnen ist (zB Bundesministerium für
Finanzen, ASFINAG oder Arbeitsmarktservice), entscheidet das
Bundesverwaltungsgericht (vormals das Bundesvergabeamt) über derartige
Nachprüfungsanträge. Auch im Falle der Anwendbarkeit des BVergGVS ist die
Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts gegeben. Wird das Vergabeverfahren
von einem öffentlichen Auftraggeber durchgeführt, der einem Bundesland
zuzuordnen ist (zB dem Magistrat der Stadt Wien), ist für Nachprüfungsanträge
das Landesverwaltungsgericht des jeweiligen Bundeslandes zuständig.
Kurze Anfechtungsfristen
Von zentraler Bedeutung für ein erfolgreiches
Nachprüfungsverfahren ist die Beachtung der äußerst kurzen Anfechtungsfristen,
innerhalb der Entscheidungen öffentlicher Auftraggeber auf nationaler Ebene (zB
in NÖ auch unter Einrechnung der Dauer eines Schlichtungsverfahrens) bekämpft
werden müssen. Welche Anfechtungsfrist im konkreten Fall zur Anwendung kommt,
hängt vom Anfechtungsgegenstand sowie der jeweiligen Verfahrensart und vom
Auftragswert ab und ist aufgrund der recht komplexen gesetzlichen Regelung und
der Rechtsprechung oft nicht einfach zu ermitteln; zumeist beträgt sie 7 oder 10
Tage. Wird die Anfechtungsfrist versäumt, kann eine rechtswidrige Entscheidung
in der Regel auf nationaler Ebene nicht mehr bekämpft werden.
Vergaberecht und COVID-19
Im Zusammenhang mit dem faktischen und rechtlichen
Auswirkungen der COVID-19 Pandemie sind im Zusammenhang mit dem Vergaberecht
eine Vielzahl von Fragen zu prüfen. Dies ist zB abhängig vom Stadium der
Beschaffung, etwa vor Einleitung oder bei Durchführung eines Vergabeverfahrens
(Fristen, insbesondere auch Verfahrensart und Ausnahmen zB Verhandlungsverfahren
ohne vorherige Bekanntmachung (vgl kumulative Kriterien gem § 35 Abs 1 Z 4. § 36
Abs 1 Z 4 bzw § 37 Abs 1 Z 4 BVergG, insbes „nicht vorhersehen“); Widerruf,
Zuschlagsfrist, bzw nach Auftragsvergabe etwa die Zulässigkeit der Anpassung von
Leistungen bzw Entgelt und die Schranken der Vertragsanpassung (zB § 365 BVergG
und die Rsp EuGH pressetext ua). Weitere Fragstellungen, zB Zivilrecht, sind
ebenso zu prüfen.
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